Aus der Lehre … Pädagogische Fachzeitschriften 2006

Kuntsche, Emmanuel; Reitzle, Matthias; Silbereisen, Rainer;

Elterliches Erziehungsverhalten, Autonomiebestrebungen und Selbstabwertung im Jugendalter

Diese empirische Arbeit setzt sich mit der Intensität der Autonomiebestrebung von Jugendlichen und den damit verbunden Konsequenzen und Einflussfaktoren auseinander. Es wird untersucht und diskutiert, in wie fern jugendliche Autonomiebestrebungen und die elterliche Erziehung Einfluss auf die Entwicklung haben. Insbesondere wird hinterfragt, in welchem Ausmaß sich diese Faktoren auf die Erweiterung bzw. Abwertung des Selbstwertes auswirken.

Es wurde angenommen, dass Jugendliche, die Diskrepanzen zwischen bereits erreichter und angestrebter Autonomie verspüren aber auch jene Jungendliche, die von ihren Eltern nach sehr strengen Regeln erzogen werden, vermehrt von Selbstabwertung betroffen sind. Sehr schlecht für den Selbstwert der Jugendlichen ist es auch, wenn die Eltern und die Jugendlichen nicht der selben Auffassung über die Kontrolle und Autonomie sind.

Es wurden mittels eines Regressionsmodell die Angaben von 618 Berliner Jugendlichen untersucht. Es hat sich ergeben, dass Selbstwertprobleme sowohl durch erhöhlte Autonomiebestrebungen als auch durch besondere Strenge der Eltern hervorgerufen wird.

Ein ausgeprägter Selbstwert im Jugendalter hat eine sehr große Bedeutung. Es ist damit auch die Auswahl der Freunde bzw. die Jugendgruppen, in denen sich die Jugendlichen befinden, mitverantwortlich.

Durch einen schlechten Selbstwert gerät man schnell in deviante oder delinquente Gruppen, wo der Selbstwert durch Alkoholkonsum oder Rauchen gestärkt werden soll.

Das erfolgreiche meistern von Entwickungsaufgaben hintereinander kann zum erlangen von Autonomie führen und wird sich positiv auf die Jugendlichen auswirken. Sie dürfen auf keinen Fall überfordert sein oder zu viele Aufgaben auf einmal bewältigen müssen. Wenn zu viele Aufgaben gleichzeitig gefordert werden, kann der Selbstwert darunter leiden.

Der Selbstwert hängt auch sehr stark von der eigenen Wertschätzung ab, die ein Jugendlicher von seinen Bezugspersonen, wie Eltern, Klassenkammeraden und Freunden, erhält.

Unter Autonomie kann die Unabhängigkeit von den Eltern verstanden werden daher entstehen sehr viele Autonomiekonflikte, die mit den Eltern gelöst werden müssen. Zum Beispiel bei Fragen um die eigene Kleidung und gegengeschlechtliche Freundschaften. Die Sichtweisen zur Klärung von Autonomiefragen passen sich jedoch immer mehr denen der Eltern und Kindern an. Bei Eltern, die sich keinen Diskussionen stellen, und die stur auf ihre Regeln beharren, wird der Selbstwert der Kinder sehr darunter leiden.

Es wurde eine Stichprobe bei 618 deutschen Jugendlichen verwendet.

Zum Beispiel:

Autonomieziele

 

Diskrepanz zwischen angestrebter und bereits erreichter Autonomie

 

nein

ja

fehlend

„Auf eigenen Beinen stehen“

410 (66,3%)

200 (32,4%)

8 (1,3%)

„Sich in bestimmter Art geben/kleiden“

416 (67,3%)

191 (30,7%)

11 (1,8%)

„Freund/in haben; verliebt sein“

316 (51,1%)

281 (45,5%)

21 (3,4%)

Die Selbstabwertung erwies sich in der durchgeführten Stichprobe als nicht besonders ausgeprägt.

In der Untersuchung wiesen Jugendliche mit rigiden Eltern eine höhere Selbstabwertung auf, als jene mit nicht so strengen Eltern.

Bei Autonomiebestrebung und elterliche Strenge handelt es sich um zwei unabhängige Faktoren. Es ist nicht der Fall, das Jugendliche auf übermäßige elterliche Strenge mit einem erhöhten Autonomiebedürfnis reagieren oder umgekehrt.

Jugendliche sind bei einem Höchstmaß an Autonomiebestrebung verstärkt auf das Verständnis der Eltern angewiesen. Wenn sie das nicht erhalten, sondern die Eltern auf die Einhaltung ihrer Regeln bestehen, steigen Selbstwertprobleme sprunghaft an.

Es kann dann das Problem entstehen, dass Jugendliche dadurch in schlechte Kreise geraten, da sie glauben, dadurch mehr Selbstwertgefühl zu erhalten.

Aus der Umfrage hat sich noch ergeben, dass bei Jugendlichen, bei denen keine Diskrepanzen zwischen angestrebter und bereits erreichter Autonomie standen, die Selbstabwertung sehr niedrig war.

Grundsätzlich steht fest, dass ein ausgeprägter Selbstwert für junge Leute eine zentrale Bedeutung hat. Viele Faktoren können auf dessen Entwicklung und Ausprägung Einfluss nehmen, wie zum Beispiel der Anschluss an rebellischen und verbrecherischen gleichaltrigen Gruppen, ebenso wie schulisches Versagen. Darüber hinaus hat auch das erfolgreiche Bewältigen von Entwicklungsaufgaben eine starke Auswirkung auf die Höhe des persönlichen Selbstwertes. Zu erwähnen ist dabei, dass je mehr Aufgaben ein Jugendlicher gleichzeitig zu erfüllen hat, desto überforderter ist er und desto mehr leidet sein Selbstwert darunter. Dies ist besonders auffällig, wenn Jugendliche versuchen gleichzeitig in verschiedenen Entwicklungsbereichen Autonomie zu erlangen, jedoch dabei in keinem Bereich bereits autonom sind. Auf der anderen Seite haben natürlich auch wichtige Bezugspersonen, wie Eltern und Freunde auf die Ausprägung des Selbstwertes bei jungen Leuten eine starke Auswirkung. Bemerkbar macht sich dies vor allem in der Pubertät, Jugendliche stoßen in dieser Phase immer wieder auf Konflikte, die sich primär um Autonomiefragen drehen, so wie die Wahl der Kleidung, die erste gegengeschlechtliche oder gleichgeschlechtliche Partnerschaft und vieles, vieles mehr. Es sei jedoch gesagt, dass jugendliche Autonomiebestrebungen nicht immer zu Spannungen in ihrem sozialen Umfeld führen müssen. Auffallend aber ist, dass vor allem Jugendliche deren Eltern auf die von ihnen gesetzten Regeln und Vorschriften beharren und keinerlei Diskussionsfreiraum zulassen, verstärkt unter einer schwachen Entwicklung ihres Selbstwertes leiden. Daher kommt es primär zu Beeinträchtigungen des Selbstwertes von Kindern, die eine völlig konträre Auffassung von Kontrolle und Autonomie haben, als ihre Eltern. Abschließend sei gesagt, dass es für Eltern eine besonders schwierige Aufgabe darstellt, einen angemessenen Weg zwischen gewährter Freiheit und elterlicher Kontrolle zu finden, um ihre Kinder nicht zu stark in ihrer natürlichen Entwicklung einzuschränken.

Zusammenfassung der Studie

Die vorliegende Studie untersucht, inwiefern jugendliche Autonomiebestrebungen in verschiedenen Entwicklungsbereichen, als auch die Erziehung durch besonders strenge Eltern, Einfluss auf die Ausprägung des Selbstwertes junger Menschen haben.

Die Stichprobe bestand aus 618 Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren. Diese wurden im Rahmen des Klassenverbandes schriftlich befragt, zu Themen wie Autonomieziele, Selbstabwertung, elterliche Strenge, etc.

Zum Beispiel:

Autonomieziele

 

Diskrepanz zwischen angestrebter und bereits erreichter Autonomie

 

nein

ja

fehlend

„Auf eigenen Beinen stehen“

410 (66,3%)

200 (32,4%)

8 (1,3%)

„Sich in bestimmter Art geben/kleiden“

416 (67,3%)

191 (30,7%)

11 (1,8%)

„Freund/in haben; verliebt sein“

316 (51,1%)

281 (45,5%)

21 (3,4%)

Ergebnis der Studie

Die Studie zeigte, dass Jugendliche mit strengeren Eltern viel mehr unter ihrem Selbstwert leiden, als jene die mehr Freiheiten haben. Jedoch handelt es sich grundsätzlich bei Autonomiebestrebung und elterlicher Strenge um zwei unabhängige Faktoren. Denn es ist nicht der Fall, dass Kinder, die besonders rigide erzogen werden einen übermäßigen Drang nach Autonomie verspüren. Umgekehrt sind auch die Autonomiebestrebungen von Jugendlichen die keine bzw. kaum Regeln und Vorschriften einzuhalten haben, nicht weniger gering. Herausgefunden wurde ebenfalls, dass Jugendliche bei einem Höchstmaß an Autonomiebestrebung verstärkt auf das Verständnis ihrer Eltern angewiesen sind. Erhalten Sie dieses nicht, steigt die Selbstabwertung rapide an. Dies kann wiederum Auswirkungen auf das Verhalten und den Umgang des Jugendlichen haben, nicht selten kommt es vor, dass Jugendliche, die sich im elterlichen Umfeld unverstanden fühlen, in schlechte Kreise geraten. Da ihnen diese das Gefühl geben, verstanden, akzeptiert und respektiert zu werden. Eine weitere Erkenntnis die erlangt werden konnte ist, dass Jugendliche, bei denen keine Diskrepanzen zwischen angestrebter und bereits erreichter Autonomie gegeben waren, die Selbstwertprobleme am Geringsten waren.

Allgemein auffällig war jedoch vor allem die Tatsache, dass die Selbstabwertung in der durchgeführten Stichprobe nicht besonders ausgeprägt war.

Siehe zu dieser Thematik auch Familienbeziehungen im Jugendalter


Wie Eltern ihre Kinder auch als Erwachsene noch beeinflussen

Die Eltern waren sehr kritisch
Wenn Ihre Eltern Sie als Kind sehr kritisiert haben, zum Beispiel wenn Sie keine guten Noten nach Hause gebracht haben, kann es sein, dass Sie heute sehr selbstkritisch und unfreundlich sind. Denn wahrscheinlich haben Sie als Kind gelernt und verinnerlicht, dass Sie den Erwartungen anderer kaum gerecht werden können und dass Sie nur etwas wert sind, wenn Sie gute Leistungen erbringen und gemocht werden. Kurz gesagt, dass Ihr Wert als Mensch von äußeren Faktoren abhängt.

Die Eltern waren sehr kontrollierend
Wenn Ihre Eltern Ihnen in Ihrer Kindheit wenig Vertrauen entgegengebracht haben, kann dies dazu führen, dass Sie als Erwachsener unter einem niedrigen Selbstwertgefühl und ständigen Selbstzweifeln leiden. Das liegt daran, dass Ihre Eltern Sie sehr kontrolliert haben - z. B. bei den Hausaufgaben, beim Telefonieren etc. - und Sie nicht gelernt haben, sich selbst genug zu vertrauen. Auch nicht, sich selbst etwas zuzutrauen.

Die Eltern waren übergriffig
Möglicherweise haben Ihre Eltern Ihre Grenzen als Kind nicht respektiert, sich stark in Ihre Freundschaften eingemischt oder Sie emotional stark belastet. Dies kann zum Beispiel bei Scheidungskindern der Fall sein, die nach der Trennung der Eltern fast die Rolle des Partners übernommen haben. Ein solches Verhalten kann dazu führen, dass es der Person auch im Erwachsenenalter nicht leicht fällt, gesunde Grenzen zu setzen - sei es in der Partnerschaft, gegenüber den Eltern oder anderen Menschen oder im Beruf.

Bei den Eltern durften Sie alles
Wie streng oder locker Eltern ihre Sprösslinge erziehen, hat nicht nur Auswirkungen auf deren Verhalten als Kinder. Denn wenn Kinder keine oder kaum Grenzen kennen lernen und praktisch alles tun dürfen, was sie wollen, können sie sich als Erwachsene nur schwer unter Kontrolle halten. Sie können sehr impulsiv werden und es fällt ihnen schwer, gesunde Grenzen einzuhalten.

Eltern waren sehr pessimistisch
In der Kindheit lernt man vor allem, wie man die Welt sieht. Wie sich die Eltern verhalten, wie sie die Dinge sehen und wie sie darüber sprechen, hat großen Einfluss darauf, wie wir später als Erwachsene mit Situationen umgehen. Wenn Ihre Eltern eher pessimistisch waren und in der Regel vom schlimmsten Ausgang einer Situation ausgingen, können Sie dieses Muster übernehmen. Das kann zu Selbstsabotage führen: Sie gehen zum Beispiel davon aus, dass Ihre Beziehung scheitern wird, verhalten sich entsprechend - und sorgen so dafür, dass sich Ihr Partner vielleicht sogar von Ihnen distanziert.


Literatur

Kuntsche, E.; Reitzle, R.; Silbereisen, R. (2003): Elterliches Erziehungsverhalten, Autonomiebestrebungen und Selbstabwertung im Jugendalter. In Psychologie in Erziehung & Unterricht, 2003. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag.
Stangl, W. (2009, 8. September). Wie Eltern ihre Kinder auch als Erwachsene noch beeinflussen – was stangl bemerkt ….
https://bemerkt.stangl-taller.at/wie-eltern-ihre-kinder-auch-als-erwachsene-noch-beeinflussen.

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