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Am Zustandekommen verschiedenartiger Leseleistungen, wie etwa dem lauten flüssigen Lesen unter Beachtung der Betonungsmuster oder dem Sinn verstehenden Lesen, sind mehrere Komponenten beteiligt, die entweder innerhalb der SchülerInnen liegen oder mit schulischen, kulturellen oder familiären, d. h. sozialen Bedingungen einhergehen, wobei allerdings zwischen diesen Faktoren eine enge Wechselwirkung besteht. So kann etwa eine mangelnde Unterstützung durch die Schule oder ein ungeeignetes didaktisches Vorgehen beim Erstleseunterricht Konsequenzen im Hinblick auf bestimmte kognitive Voraussetzungen für das Lesen bei den einzelnen SchülerInnen nach sich ziehen, sodass auch die Entstehung und Aufrechterhaltung von Leseschwierigkeiten durch diese Faktoren beeinflusst werden können. Neben den individuellen Lernvoraussetzungen kommen vor allem der Schule bzw. dem Erstleseunterricht und der Familie eine zentrale Rolle zu. Die Entwicklung jeder Lesefähigkeit beginnt mit dem Erstleseunterricht, wo vom Worterkennen ausgehend basale Lesefertigkeiten für das Sinn verstehende Lesen vermittelt werden müssen. Allerdings ist der Prozess des Schriftspracherwerbs damit noch lange nicht abgeschlossen, sondern er setzt sich bis zum Ende der Schullaufbahn fort und bedarf auch nach der Grundschule der Förderung. Hier stehen die Weiterentwicklung des sinnerfassenden Lesens und der Erwerb von Lesestrategien im Mittelpunkt, wobei die basalen Lesefähigkeiten wie das individuelle Lesetempo, die Genauigkeit und der Automatisierungsgrad des Dekodierens sowie eine angemessene Phrasierung vor allem bei Kindern mit Leseschwierigkeiten weiterhin gezielt gefördert werden müssen. Sonst besteht die Gefahr, dass es mit dem Übergang zur Sekundarstufe zu einem Bruch des Leseunterrichts kommt und dass die Verantwortlichkeit für den Unterricht in basalen Lesefähigkeiten verloren geht. Es gibt zahlreiche Vorläuferfertigkeiten für das Lesen, etwa die phonologische Bewusstheit und die Benennungsgeschwindigkeit. Die phonologischen Bewusstheit ist dabei die Fähigkeit zur Einsicht in die Lautstruktur einer Sprache, wobei Kinder, die beim Schuleintritt bereits ein Grundverständnis der phonologischen Struktur der Sprache mitbringen, Vorteile beim Erlernen des Lesens haben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn, also die Einsicht in die lautliche Gliederung einer Sprache, erst mit dem Lesenlernen selber, d. h., mit der Buchstaben-Laut-Zuordnung herausbildet. Gelingt dies nicht in ausreichendem Maße, sind möglicherweise langfristige Schwierigkeiten im Leseerwerb zu erwarten. Obwohl das Leseverständnis mit einer gewissen Berechtigung als das eigentliche Ziel des Leseunterrichts gesehen wird, bildet das sichere und rasche Worterkennen die Grundlage, ohne die ein sinnerfassendes Lesen von Texten nicht möglich ist. Häufig haben Probleme beim Leseverständnis ihre Ursachen in einer mangelnden Fähigkeit im Wortlesen. Mit dem Begriff Worterkennen sind dabei im Wesentlichen zwei sich nacheinander bzw. auch parallel ausbildende Fähigkeiten angesprochen. Zunächst geht es um das sichere uns fehlerfreie Erkennen des Wortes. Dies geschieht zu Beginn des Erstleseunterrichts primär über die phonologische Bewusstheit und die Benennungsgeschwindigkeit. Hinzu kommt die Ausnutzung des alphabetischen Prinzips, d. h., die Grapheme eines Wortes werden konsekutiv den entsprechenden Phonemen zugeordnet (phonologische Rekodierung), wobei dieser Prozess im weiteren Verlauf des Leseunterrichts bzw. bei der zunehmend selbstständigen Leseaktivität immer weiter automatisiert wird. Dies geschieht vor allem dadurch, dass hervorstechende oder häufige Wortteile und schließlich ganze Wörter unmittelbar und ohne Umweg über den Prozess der phonologischen Rekodierung erkannt werden können. Diese Automatisierung führt in der Folge zu einer enormen Steigerung der Lesegeschwindigkeit (Stangl, 2014).

Lesenlernen leicht gemacht

 

Lesenlernen leicht gemacht

Eine normale Lesegeschwindigkeit wird nur nach einem langjährigen Lernprozess erreicht. Die Pisa-Studie hat herausgefunden, dass deutsche Schüler große Leseprobleme haben und es bereits etwa 4% Analphabeten in Deutschland gibt. Lesen hängt mit dem Zusammenwirken von visueller und sprachlicher Verarbeitung zusammen (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005, S. 293ff).

Visuelle Beschränkungen beim Lesen

Die intermittierende Arbeitsweise

0,25 Sekunden schaut das Auge auf das Sehobjekt um die Erregbarkeit des Sehfarbstoffes wiederherzustellen. 0,15 und 0,35 Sekunden beträgt die Dauer der Fixierung, die von der Schwierigkeit des Textes abhängig ist (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005, S. 293ff).

Das kleine „Sichtfenster“ der Netzhaut

Um rasch und genau Details zu erkennen haben wir die Fovea, auch Gelbe Fleck. Die Fovea ist klein und hat im Abstand von 57 Zentimetern nur eine Breite von zwei Zentimetern. Nur wenige Zentimeter neben der Sehachse erreicht die Sehschärfe wegen der geringen Sehzelldichte nur noch etwa ein Drittel des zentralen Wertes, daher spricht man auch von einem kleinen „Sichtfenster“. Anfänger sehen nur einen Buchstaben, Fortgeschrittene hingegen können ein ganzes Wort erkennen (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005,
S. 293ff).

Die schwierige Sprachbildung

Die sog. phonologische Bewusstheit ist maßgeblich für die Sprachbildung. Sprachbildung ist die Fähigkeit, aus Buchstabenfolgen im Text sprachliche Laute zu bilden und dies macht Anfängern, Personen mit Sprachdefiziten (Ausländer, Sprachbehinderte oder Legastheniker) Probleme. Zu kleine und zu große Buchstaben sind schlecht zu lesen, da Erkennungsprobleme und Unübersichtlichkeit Schwierigkeiten machen (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005, S. 293ff).

Zusammenwirken von visueller Erkennung und Sprachbildung

Beim Lesenlernen sollen die Übungstexte in ihrer Schwierigkeit auf die jeweilige Lesefertigkeit abstimmt sein, damit man eine optimale Lesebedingungen mit einem gleichmäßigen Lesefluss erreicht. Die Sprachbildung setzt eine rasche visuelle Erkennung der Schriftzeichen mit dem zentralen Sehvermögen voraus (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005, S. 293ff).

Computerunterstützung beim Lesenlernen und die Gleitzeile

Der Computer erzeugt eine horizontal gleitende Textdarbietung. Die Computerunterstützung beim Lesenlernen erscheint für lese- oder rechtschreibschwachen Kindern oder erwachsenen Analphabeten außerhalb des Klassenzimmers sinnvoll. Die Gleitzeile gefällt den Kindern sehr, weil der bewegte Text ihre Aufmerksamkeit fesselt und ihnen das Lesen Freude macht (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005, S. 293ff).

Details zu Leseförderversuchen mit der Gleitzeile (1994)

Der Hauptgrund für die Beliebtheit dieser Gleitzeile ist die unbewusste Blickbewegungssteuerung. Bei gleitender Textdarbietung ist der relative Zuwachs größer als bei stehender Textdarbietung. Durch den erfolgreich durchgeführten Förderunterricht in der 2. Klasse Grundschule bei leseschwachen Kindern, zeigt sich, wie wichtig kleine Schülerzahlen in Klassen sind (vgl. Krischer, Zangemeister & Meißen 2005, S. 293ff).

Sprechen zu lernen ist eine der zentralen Lernleistungen, die Kleinkinder bzw. Kinder zustande bringen müssen, und sie tun das in rasanter Geschwindigkeit. Dabei lernen Kinder das Verstehen noch vor dem Sprechen, wobei ein zweijähriges Kind normalerweise bereits etwa 500 Wörter verstehen kann, auch wenn es noch in Zwei-Wort-Sätzen spricht. Eine Vielzahl von Studien bestätigt den starken Einfluss des Sprachverhaltens von Eltern auf die kindliche Sprachentwicklung, denn es kommt stets auf die Familie an, auf das gemeinsame Spielen und das Vorlesen von Bilderbücher. Eine Studie (Vorlesestudie 2018 der deutschen Stiftung Lesen) hat gezeigt, dass Eltern mit regelmäßigem Vorlesen ihren Kindern das Lesenlernen deutlich erleichtern können. Dabei zeigte sich, dass vier von fünf Kindern, denen mehrmals in der Woche oder auch täglich vorgelesen wurde, das Lesenlernen später in der Schule leichter fällt, während bei jenen Kindern, die diese Erfahrung selten bzw. nie gemacht haben, nur 50 Prozent das Lesenlernen ohne Probleme bewältigen. Hinzu kommt, dass Kindern, denen nie vorgelesen wurde, auch sehr ungeduldig und genervt auf das Lesenlernen reagieren und dieses als sehr anstrengend empfinden. Jedes zweite Kind ohne Vorleseerfahrung hat nämlich gedacht, dass Lesenlernen schneller geht, während Kindern, die täglich Märchen und Geschichten gehört haben oder hören, das nur zu einem Viertel behaupten. Eine Konsequenz wäre daher, dass bei einem Ausfall der Eltern etwa aus bildungsfernen Schichten Kinder an jeder Schule auch Leseangebote für ihre Freizeit finden können.


Wie kommt man beim Lesen in einen Flow?

Birte Thissen hat untersucht, unter welchen Bedingungen beim Lesen ein Flow entstehen kann, also dass LeserInnen komplett in dieser Tätigkeit aufgehen. Sie fand zahlreiche Komponenten, die beim Flow eine Rolle spielen, wobei sich diese sich zum einen auf starke Konzentration oder Absorption beziehen und sich in einem starken Fokussieren der Aufmerksamkeit äußern, d. h., man vergisst seine Umgebung, verliert das Zeitgefühl und das Ich-Bewusstsein. Andere Komponeten des Flow haben mit der Verarbeitungsflüssigkeit zu tun, d. h., im Flow hat man das Gefühl, klare Zielvorstellungen und alles unter Kontrolle zu haben. Intuitiv weiß man, was man zu tun hat und muss nicht über seinen nächsten Schritt nachdenken. In dieser Situation hat man das Gefühl, dass die Aktivität weder über- noch unterfordert. Die übrigen Flow-Komponenten beziehen sich auf die Freude am Tun, denn kommt eine Motivation aus einem selbst heraus, ist die Motivation intrinsisch, und es spielen etwa Belohnung oder Strafe keine Rolle. Das Besondere beim Lesen ist, dass es eine rein mentale Tätigkeit ist, denn die eigentliche Aktivität beim Lesen besteht nicht in der Dekodierung von Buchstaben, sondern es geht um das Konstruieren eines mentalen Modells. Dieses Modell beinhaltet mentale Repräsentationen von Figuren, Geschehnissen und Schauplätzen der Geschichte im Buch. Der Text gibt hierzu einerseits Informationen, man muss sie aber auch verarbeiten können, wozu man ein passendes kognitives Schemata braucht, also Leitfäden, die man sich durch Lernen und Erfahrung erworben hat. Wenn etwa in einem Kriminalroman von einem Gärtner mit blutigen Händen die Rede ist, ist es vorteilhaft zu wissen, dass blutige Hände oft für einen Mord sprechen, und der Gärtner häufig als Täter in Frage kommt. Je flüssiger es gelingt, Informationen aus dem Text mithilfe der eigenen kognitiven Schemata in einem kohärenten mentalen Modell zusammenzubauen, desto eher kommt man beim Lesen in den Flow. Was die Sache schwierig macht, ist, dass Flow sehr individuell ist, d. h., man muss herausfinden, was für welche Leser herausfordernd ist. Dass Leser und Buch optimal zueinander passen, ist schwieriger zu beeinflussen als etwa bei einem Computerspiel. Computerspiele mit ihren unterschiedlichen Schwierigkeits-Levels sind tatsächlich sehr geeignet, um den optimalen Herausforderungsgrad und damit den Flow zu finden, wobei auch die kognitiven Fähigkeiten, die man beim Computerspielen braucht, bei Jugendlichen inzwischen oft besonders gut ausgebildet sind, da sie schon von klein auf am Computer oder am Handy trainiert werden. Somit fällt es ihnen leichter beim Computerspiel direkt in den Flow zu kommen. Vielleicht wurden früher eher die Fähigkeiten trainiert, die man beim Lesen braucht und die einem dort schnell zum Flow verhelfen können.
Zusammengefasst nach einem Interview von Uwe Ebbinghaus mit der Autorin in der FAZ.

Literatur

Krischer, Christopf C., Zangemeister, Wolfgang H. & Meißen, Ralf (2005). Lesenlernen leicht gemacht. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 52 293-300.

Schabmann, A., Landerl, K., Bruneforth, M. & Schmidt, B. M. (2012). Lesekompetenz, Leseunterricht und Leseförderung im österreichischen Schulsystem. Analysen zur pädagogischen Förderung der Lesekompetenz. Nationaler Bildungsbericht, S. 17-69.
Stangl, W. (2014). Wie lernt man lesen? – bemerkt. Was Stangl so bemerkt.
WWW: https://bemerkt.stangl-taller.at/wie-lernt-man-lesen/ (14-12-01)
https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/klassenzimmer/welche-rolle-spielt-flow-bei-der-leselust-von-jugendlichen-17183026.html (21-02-05)

 


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