1. Einleitung
In der PISA 2000-Studie haben deutsche Jugendliche in Deutschland im internationalen Vergleich unerwartet mäßig abgeschnitten, obwohl Leseverständnis als vielleicht wichtigste Schlüsselkompetenz für eine erfolgreiche Schullaufbahn und Berufskarriere anzusehen ist (vgl. Schiefele, Ardelt, Schneider & Stanat, 2004). In der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) wurden – anders als in der Pisa 2000-Studie – für Deutschland überdurchschnittliche Lesekompetenzen ermittelt. Dies legt die Hypothese nahe, dass Versäumnisse bei der schulischen Förderung der Lesekompetenz weniger im Primarbereich als vielmehr im Sekundärbereich liegen(Bos, Lankes, Schwippert, Valtin, Voss, Badel & Plaßmeier, 2003, S. 135). Insbesondere bei Kindern mit Migrationhintergrund zeichnet sich ein erheblicher Kompetenzrückstand ab. Der Lernrückstand von Kindern mit Migrationshintergrund liegt im Grundschulbereich nach den Ergebnissen der IGLU-Studie bei immerhin einem Schuljahr (Schwippert, Bos & Lankes, 2003, S. 284-285). In kaum einer anderen vergleichbaren Nation klaffen die Kompetenzen dieser Kinder bereits im Grundschulalter so weit auseinander wie in Deutschland. Die PISA 2000-Studie ergibt, dass Jugendliche auch wenn sie in Deutschland geboren wurden und ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland absolviert haben, deutlich geringere Lesekompetenzen aufweisen als Schüler/innen ohne Migrationshintergrund (Ramm, Prenzel, Heidemeier & Walter, 2004, S. 271). Es gibt sowohl theoretische als auch einige empirische Hinweise, dass infolge von Mehrsprachigkeit schon früh ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein entwickelt wird (vgl. Mohanty & Perregaux, 1996, S. 234-236). Erst in jüngster Zeit mehren sich auf der Basis methodenkritischer Untersuchungen Zweifel an der generellen Haltbarkeit der zugrunde liegenden Hypothese (Billmann-Mahecha & Tiedemann, 2006; Hopf, 2005; Söhn, 2005).
Methode:
Es wird eine Stichprobe von 620 SchülerInnen aus insgesamt 31 Schulklassen dargestellt. Die Untersuchung fand zu zwei Messzeitpunkten am Ende der ersten Hälfte und im letzten Drittel des Schuljahres 2003/04 statt. Die meisten Kinder davon geben deutsch als einzige Familiensprache an, aber 40 % der Kinder sind, laut Statistik, zweisprachig. Es wurden für den Test ein Sachtext und 13 Fragen verwendet. (Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21 (1), 2007, 41-49)
Fragestellung:
Auf individueller ebene werden folgende Hypothesen geprüft:
a) Kinder, die in der Familie nicht Deutsch sprechen, zeigen ein geringer ausgeprägtes Leseverständnis als Kinder, die in der Familie ausschließlich Deutsch oder Deutsch und eine weitere Fremdsprache sprechen.
b) Kinder, die in der Freizeit nicht Deutsch sprechen, zeigen ein geringer ausgeprägtes Leseverständnis als Kinder, die in der Freizeit ausschließlich Deutsch oder Deutsch und eine Weitere Sprache sprechen.
Auf Kontextebene werden folgende Hypothesen geprüft:
a) In Schulklassen, in denen ein hoher Anteil an Schülerinnen und Schülern in der Familie nicht Deutsch spricht, erreichen Kinder unter sonst vergleichbaren Bedingungen ein geringer ausgeprägtes Leseverständnis
b) In Schulklassen, in denen ein hoher Anteil an Schüler/innen in der Freizeit nicht Deutsch spricht, erreichen Kinder unter sonst vergleichbaren Bedingungen ein geringer ausgeprägtes Leseverständnis.
(Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21 (1), 2007, 41-49)
Ergebnis und Diskussion:
Auf deskriptiver Ebene hervorstechend sind zunächst die erheblichen Lesekompetenzunterschiede zwischen vierten Grundschulklassen, die eine Größenordnung von bis zu drei Lernjahren erreichen. Eine Kovariation mit der Leseverständnisleistung weisen die in der Freizeit und in der Familie gesprochenen Sprachen auf sowie die von den Lehrkräften eingeschätzte elterliche Bildungsorientierung, die nicht-verbale Intelligenz, die Lesemotivation und das Selbstkonzept. Neben den Umgangssprachen in der Familie kommt der in der Freizeit gesprochenen Sprache eine eigenständige Bedeutung für die Varianzaufklärung der Leseverständnisleistung zu. (Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21 (1), 2007, 41-49)
Das die in der Freizeit gesprochene Sprache so wichtig für die Lesekompetenz ist, ist neu. Verantwortlich hierfür dürfte hiefür erster Linie der Zeitfaktor sein: Je weniger Gelegenheiten gegeben und genutzt werden, die deutsche Sprache zu sprechen, desto geringer wird der zweitsprachliche Kompetenzerwerb ausfallen (vgl. auch Hopf, 2005). Neben diesen sprachlichen Faktoren, die mit dem zeitlichen Umfang des aktiven Gebrauchs der Verkehrssprache im sinne von Lerngelegenheiten zusammenhängen, dürften aber auch sozial-emotionale Faktoren von Bedeutung sein (vgl. Stanat & Schneider, 2004).
Bereits in der Grundschule wird den Kindern das Lesen beigebracht, denn dies ist besonders wichtig für die weitere Entwicklung. Den sowohl in der Schule als auch im Beruf ist lesen eine Grundvoraussetzung. Einige Pädagogen unter anderem Helmke & Weinert (1997) haben festgestellt, dass die soziale Umgebung der Schüler ihre Lesekompetenz beeinflussen kann. „Dabei spielt die Familie als Einflussmöglichkeit eine wesentliche Rolle indem sie zu erheblichen Leistungsdifferenzen innerhalb der Schülerpopulation beitragen“ (Kellaghan, Sloane, Alvarez & Bloom, 1993; Pekrun, 2002, zit. nach McElvany, Becker & Lüdtke, 2009, S.121).
Der Begriff Lesekompetenz bedeutet das Erkennen von Buchstaben, Wörtern bzw. Sätzen und zusätzlich den Sinn des Gelesenen zu verstehen. Wobei diese Bestandteile in der Grundschule erlernt werden sollten. Weiteres kann man die Lesemotivation von außen oder von innen bestimmen. Diese steht wiederum im Zusammenhang mit dem Leseverhalten, wobei hier geklärt wird, wie oft man liest. Der Wortschatz wird geprägt durch die oben genannte Lesekompetenz und das Leseverhalten und ist notwendig um umfangreiche Texte verstehen zu können (vgl. McElvany et al. 2009, S.122).
Die Lesemotivation der Kinder kann durch die Anzahl der Bücher in einem Haushalt bestimmt werden. Dies bedeutet, dass die Kinder eher mehr zum Lesen tendieren, wenn der Buchbesitz der Familie umfangreich ist. Der gemeinsame Besuch einer Bibliothek, Bücher als Geschenke oder auch die Ermunterung zum Lesen aus Langeweile sind Beispiele für Aktivitäten innerhalb der Familie, welche die Kinder noch mehr zum Lesen motivieren (vgl. McElvany et al. 2009, S.122).
Am aller wichtigsten ist jedoch die Förderung durch die Eltern. Wenn diese ihre Kinder loben und ihnen beibringen, dass sie stolz auf sie sind, dann werden ihre Kinder noch mehr in ihrem Leseverhalten bestärkt (vgl. McElvany et al. 2009, S.123).
McElvany, Becker und Lüdtke wollen mit ihrer Studie untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Lesekompetenz der Schüler und ihrem familiären Umfeld gibt. Es wurden 772 Schüler/innen an 22 verschiedenen Berliner Grundschulen im Schuljahr 2002/2003 auf ihre Lesekompetenz untersucht. Die Schüler/innen waren zwischen neun und zehn Jahren alt. Weiteres wurde kontroliert, ob es alleinerziehende Eltern sind, die Ausbildung der Eltern und die Familiensprache (vgl. McElvany et al. 2009, S.124). Ausschlaggebend für das Ergebnis waren einerseits der Buchbesitz der Familie, die gemeinsamen Leseaktivitäten und andererseits auch die Anerkennung und Förderung der Eltern. Das Ergebnis dieser Studie zeigte, dass zum Beispiel bei Deutsch als Familiensprache der Anteil der deutschen Literatur viel umfangreicher war. Weiteres konnte festgestellt werden, dass Kinder für ihren Wortschatz, den sie aus verschiedenen Lektüren haben, viel zu wenig von ihren Eltern gelobt werden. Dies hat in der Folge Auswirkungen auf das Leseverhalten. Es konnte auch sehr eindeutig die Annahme bestätigt werden, dass die Familie eine wichtige Rolle bei der Lesekompetenz der Schüler spielt. Jedoch wurde die Wertschätzung der Eltern als fehlend gewertet. Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass die Aktivitäten innerhalb der Familie die Motivation der Kinder sehr stark beeinflusst. Jedoch sollte beachtet werden, dass die Kinder immer Abhängig von ihren Eltern sind und deshalb können bei ihnen immer Unterschiede im Bereich der Lesekompetenz festgestellt werden (vgl. McElvany et al. 2009, S.129f).
Bos, W., Lankes, E.-M., Schwippert, K., Valtin, R., Voss, A. Badel, I. & Plaßmeier, N. (2003). Lesekompetenz deutscher GrundschülerInnen am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann
McElvany, N., Becker, M. & Lüdtke, O. (2009). Die Bedeutung familiärer Merkmale für Lesekompetenz, Wortschatz, Lesemotivation und Leseverhalten Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 41(3), 121-131.
Billmann-Mahecha, E. & Tiedemann, J. (2006. Migration. Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union.
Ramm, G., Prenzel,M.,Heidemeier, H. & Walter, O. (20004). Soziokulturelle Herkunft: Migration. Münster: Waxmann
Mohanty, A.K. & Perregaux, C. (1996). Language ayquisition and bilibguaism. Handbook of cross-cultural psychology. Boston: Allyn & Bacon.
Schiefele, U., Artelt, C., Schneider W. & Stanat, P. (2004). Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenzen. Vertiefende Analysen im rahmen von PISA 2000. Verlag: für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.